Allegro vs. Amazon: Welcher Marktplatz ist der richtige für den polnischen Markt?

Ist der polnische E-Commerce wirklich ein garantiertes Erfolgsterrain für internationale Anbieter – oder lauern hier Fallstricke, die gegen etablierte lokale Marktführer praktisch aussichtslos erscheinen lassen? Wer seine Produkte in Polen über einen großen Marktplatz anbieten möchte, steht in erster Linie vor der Entscheidung: Allegro oder Amazon? Beide Plattformen versprechen hohe Reichweite, professionelles Fulfillment und moderne Shopfunktionen. Doch ihre Gebührenstrukturen, Logistiklösungen und Käuferpräferenzen unterscheiden sich erheblich. In diesem Artikel erfahren Betreiber kleiner und mittlerer Onlineshops sowie Einsteigerinnen und Marketingprofis, welche Chancen und Risiken beide Marktplätze im polnischen Kontext bieten. Anhand von aktuellen Kennzahlen, Praxisbeispielen und Prognosen werden konkrete Strategien für Markteintritt, Wachstum und langfristige Rentabilität vorgestellt.

Marktentwicklung im polnischen E-Commerce

Der polnische Onlinehandel befindet sich seit Jahren auf einem dynamischen Wachstumspfad. Laut aktuellen Prognosen erreicht der Gesamtumsatz im Jahr 2025 rund 20,9 Milliarden US-Dollar bei einer Online-Penetrationsrate von rund 43 Prozent. Die Zahl der aktiven Onlinekäufer wird auf etwa 30 Millionen geschätzt. Für die nächsten Jahre rechnen Analysten mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate (CAGR) von 4,6 Prozent zwischen 2025 und 2030. Ein wesentlicher Treiber ist der kontinuierlich steigende Warenkorbwert, der 2024 im Durchschnitt bei rund 304 Złoty lag, was einer Steigerung von 9 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht.

Im Fokus stehen dabei vor allem die großen Metropolregionen wie Warschau, Krakau oder Wrocław, in denen eine hohe Internetdurchdringung und gleichzeitig deutlich überdurchschnittliche Kaufkraft vorherrschen. Doch auch in ländlichen Gebieten wächst das Onlinegeschäft dank verbesserter Logistik und lokaler Zustelloptionen. Während rund 50 Prozent aller Bestellungen über mobile Endgeräte abgewickelt werden, ist die Integration lokaler Zahlungslösungen wie BLIK, PayU oder Przelewy24 für Händler unumgänglich geworden. Diese Systeme decken über 60 Prozent aller Online-Transaktionen ab.

Auf Ebene der Vertriebskanäle dominieren Marktplätze klar den Handel: Mehr als 55 Prozent der Onlineumsätze in Polen werden über große Plattformen generiert, während klassische Webshops weiterhin an Relevanz gewinnen, aber durchschnittlich nur 10–15 Prozent Marktanteil halten. Neben Allegro und Amazon spielen zunehmend auch internationale Plattformen wie Temu eine Rolle, die besonders im Preissegment und für Non-Food-Kategorien Marktanteile gewinnen. Dennoch bleibt Allegro unangefochtener Spitzenreiter im heimischen E-Commerce.

Reichweite und Nutzerbasis

Allegro

Allegro ist seit seiner Gründung 1999 integraler Bestandteil des polnischen E-Commerce-Ökosystems. Mit rund 21 Millionen aktiven Käufern in Polen und weiteren sechs Millionen Nutzern in mittel- und osteuropäischen Nachbarländern erreicht Allegro nahezu jeden vierten Einwohner Polens monatlich. Das Portal verzeichnet etwa 200 Millionen Seitenaufrufe pro Monat auf allegro.pl und gehört zu den Top 5 der meistbesuchten Websites in Polen. Die hohe Markenbekanntheit resultiert aus jahrzehntelanger Marktpräsenz und massiven Marketinginvestitionen, die von TV-Kampagnen bis zu regionalen Sponsoringaktivitäten reichen.

Amazon

Amazon startete seinen Marktplatz amazon.pl im Jahr 2021 und hat sich seither kontinuierlich etabliert. Im September 2024 wurden etwa 14,2 Millionen Visits auf amazon.pl protokolliert. Während Amazon in Westeuropa durch das Prime-Programm und eine treue Stammkundschaft dominiert, liegt die Durchdringung in Osteuropa aktuell noch unter 50 Prozent des Niveaus in Deutschland oder Frankreich. Kunden schätzen die globale Auswahl und die internationalen Versandoptionen, doch lokale Markenbekanntheit und nationale Zahlungspräferenzen bremsen das Wachstum.

Gebührenstrukturen und Margen

Allegro

Das Gebührenmodell von Allegro setzt sich aus einer Listungsgebühr und einer Verkaufsprovision zusammen. Die Provision variiert je nach Produktkategorie zwischen fünf und zwölf Prozent des Verkaufspreises. Zusätzlich können Händler kostenpflichtige Werbeoptionen buchen, um ihre Angebote hervorzuheben. Diese kosten in der Regel zwischen 0,10 und 0,30 Złoty pro Klick und werden nach dem CPC-Prinzip abgerechnet. Ein entscheidender Vorteil entsteht, wenn Händler eigene Logistikpartner nutzen: Dann fallen keine zusätzlichen Lagergebühren in Allegro-eigenen Fulfillment-Centern an.

Viele Händler schätzen die transparente Gebührenstruktur und die planbaren Fixkosten für Boost-Services. Zugleich kann eine aggressive Nutzung von Werbetools die Marge jedoch deutlich schmälern, wenn Conversion-Raten unter den zugehörigen Klickkosten liegen. Eine genaue Kosten-Nutzen-Analyse vor Kampagnenstart ist daher unerlässlich.

Amazon

Amazon erhebt Verkaufsprovisionen von acht bis fünfzehn Prozent je nach Kategorie. Über das Fulfillment-by-Amazon-Modell (FBA) fallen weitere Gebühren an: Pro Sendung werden durchschnittlich zwei bis vier US-Dollar für Verpackung, Versand und Retourenhandling berechnet. Hinzu kommt eine monatliche Lagergebühr von etwa 0,75 US-Dollar pro Kubikfuß für eingelagertes Inventar. Insbesondere in Zeiten hoher Nachfrage (z. B. vor Weihnachten) können zusätzliche Premium-Lagergebühren anfallen, sofern Lagerkapazitäten an den lokalen Amazon-Standorten knapp werden.

Die Vorteile von FBA liegen in der Prime-Qualifikation, die zu einer deutlich höheren Sichtbarkeit und besseren Konversionsraten führt. Allerdings müssen Händler hohe Mindestauflagen bei Bestand und Lieferservice erfüllen, um nachhaltige Prime-Performance zu erzielen. Dies kann zu einer höheren Kapitalbindung im Lager führen.

Logistik und Fulfillment

Ein reibungsloser Versandprozess entscheidet in Polen oft über Kauf oder Abbruch des Warenkorbs. Lokale Konsumenten erwarten schnelle Lieferzeiten und niedrige Versandkosten.

Allegro Smart!

Allegro Smart! ist das eigene Abonnementprogramm, das kostenlosen Versand auf Millionen Artikel ab einer Mindestbestellsumme von zwei Złoty bietet. Für Händler bedeutet Smart!-Teilnahme zunächst eine zusätzliche Vertragsvereinbarung, jedoch resultiert daraus eine höhere Kundenbindung und Wiederkaufrate. Annähernd 40 Prozent der Allegro-Kunden abonnieren Smart! und generieren damit rund 55 Prozent des Plattform-Umsatzvolumens. Durch die enge Kooperation mit regionalen Logistikdienstleistern werden Lieferzeiten im Schnitt auf zwei bis drei Werktage verkürzt.

Amazon Prime

Amazon Prime ist in Polen ähnlich strukturiert wie in anderen europäischen Ländern. Prime-Mitgliedschaft schafft kostenlosen Premium-Versand und Zugang zu Streaming- und Cloud-Diensten. Der Anteil polnischer Prime-Nutzer erreicht derzeit rund 20 Prozent der aktiven Amazon-Kunden. Prime-Bestellungen werden durchschnittlich schneller bearbeitet und erhöhen die Konversionsrate um bis zu 20 Prozent gegenüber Standardkunden. Allerdings sind die FBA-Gebühren im Vergleich zu lokalen Logistikdiensten höher, und nicht alle Produktkategorien eignen sich für Amazon-Lagerhaltung.

Retourenmanagement

Retouren sind in Polen ein sensibles Thema: Konsumenten erwarten kostenlose und unkomplizierte Rücksendemöglichkeiten. Allegro bietet über seine Partner kostenlose Rücksendelabels und ein Rückgabefenster von 30 Tagen. Amazon stellt automatische Retourenaufträge aus und bearbeitet Rücksendungen binnen durchschnittlich fünf Werktagen. Während Allegro im Backend deutlich bessere Dashboard-Übersichten zur Retourenquote bereitstellt, profitieren Amazon-Händler von einem stark automatisierten Prozess. Beide Systeme verlangen jedoch strikte Einhaltung der Qualitäts- und Verpackungsanforderungen, da sonst zusätzliche Strafen verhängt werden können.

Chancen und Risiken

Allegro

Allegro punktet mit starker lokaler Verankerung, vertrauter Markenwahrnehmung und günstigeren Logistikkosten für Händler. Dank einer klaren Gebührenstruktur und attraktiven Boost-Optionen können Onlineshop-Betreiber schnell erste Umsätze erzielen. Die enge Integration lokaler Zahlungsdienstleister und ein etabliertes Abo-Programm steigern die Konversionsraten und Kundenloyalität.

Risiken bestehen vor allem in der limitierten internationalen Reichweite: Außerhalb Polens und der unmittelbaren Nachbarländer generiert Allegro kaum Traffic. Zudem ist der Wettbewerb unter Top-Verkäufern groß, sodass insbesondere bei Preisdruck und Produktdiversität Margen schrumpfen können.

Amazon

Amazon bietet Zugang zu einem globalen Kundennetzwerk und dem etablierten Prime-Ökosystem. Händler profitieren von höchster Sichtbarkeit, einem klaren Standard in der Fulfillment-Qualität und der internationalen Skalierbarkeit. Innovationsangebote wie Amazon Advertising, A+ Content und Sponsored Brands eröffnen vielfältige Marketingmöglichkeiten.

Gleichzeitig sind die Einstiegskosten höher: FBA-Gebühren, erweiterte Lageranforderungen und strengere Performance-Kennzahlen erfordern eine professionelle Infrastruktur. Der Wettbewerb ist im Wesentlichen global und kann zu einem Preiskampf mit großen Konzernen führen. Für kleinere Händler kann es schwierig sein, dauerhaft profitabel zu bleiben, wenn die Fixkosten nicht durch ausreichendes Verkaufsvolumen gedeckt werden.

Strategische Handlungsempfehlungen

Für Unternehmen, die den polnischen Markt betreten oder ausbauen möchten, empfiehlt sich eine hybride Strategie:

  • Lokal starten mit Allegro
    – Aufbau von Markenbekanntheit und Vertrauen
    – Nutzung lokaler Zahlungs- und Logistiklösungen
    – Test von Produktkategorien mit überschaubarem Marketingbudget
  • Parallel Internationalisieren über Amazon
    – Nutzung des Prime-Netzwerks für Premium-Kunden
    – Aufbau eines FBA-Standorts für schnelle Lieferung in der CE-Region
    – Einsatz von Amazon Advertising zur gezielten Expansion
  • Produktsegment-spezifische Ausrichtung
    – Elektronik, Fashion und Haushaltswaren eignen sich für beide Plattformen
    – Nischenprodukte oder selbst entwickelte Marken stärker über Allegro-Plattformen bewerben
    – Premium- oder Luxussegmente auf Amazon positionieren, um höhere Margen zu realisieren
  • Performance-Monitoring und agile Anpassung
    – Kontinuierliche Überwachung von KPIs wie CTR, CR und Retourenquote
    – A/B-Tests für Listing-Optimierung und Werbekampagnen
    – Dynamisches Inventory Management zur Vermeidung von Out-of-Stock-Situationen

Ausblick und Prognose

Die polnische E-Commerce-Landschaft wird in den kommenden Jahren weiter konsolidieren. Prognosen sehen für 2026 bereits einen Gesamtumsatz von über 22 Milliarden US-Dollar. Die Penetrationsrate liegt dann bei nahezu 45 Prozent. Während Allegro seine Marktposition durch internationale Expansion und zusätzliche Services wie FinTech-Lösungen festigen wird, plant Amazon den Ausbau weiterer Fulfillment-Center in Zentral- und Osteuropa, um Lieferzeiten zu senken und die Prime-Durchdringung zu steigern.

Angesichts der digitalen Transformation im Einzelhandel und der wachsenden Erwartungen der Verbraucher an nahtlose Einkaufserlebnisse werden Omnichannel-Ansätze, AI-gestützte Personalisierung und nachhaltige Logistikmodelle zunehmend an Bedeutung gewinnen. Händler, die frühzeitig auf datengetriebene Prozessoptimierung, innovative Marketingformate und flexible Supply-Chain-Konzepte setzen, sichern sich langfristig Wettbewerbsvorteile.

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